Never/Forget/Why? 15000
Das Erinnerungsprojekt
Erinnern ist ein gegenwärtiger Prozess, eine aktive Handlung, die eine Verbindung zwischen der uns prägenden Vergangenheit, unserer Gegenwart und der Gestaltung unserer Zukunft herstellt.
Im Mittelpunkt des Projekts stehen 15000 jüdische Kinder, die zwischen 1942 und 1945 in Theresienstadt interniert waren. Fast alle Kinder wurden von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nur etwa 150 dieser Kinder überlebten.
Erinnern ist ein gegenwärtiger Prozess, eine aktive Handlung, die eine Verbindung zwischen der uns prägenden Vergangenheit, unserer Gegenwart und der Gestaltung unserer Zukunft herstellt.
Anna Wexberg-Kubesch hat für dieses Projekt 15000 gleich aussehende Karten produziert - wobei jede der Karten symbolisch für eines der ermordeten Kinder steht - um einerseits auf das gemeinsame Leid und andererseits auf die besondere Geschichte jedes Kindes hinzuweisen.
So individuell und unterschiedlich Erinnerungen sind, so vielfältig sind auch die Karten der Erinnerung, die von vielen Menschen weltweit gestaltet werden.
Die Karten werden mit persönlichen oder theoretischen Texten, mit Gedanken, mit Zeichnungen, Fotos oder anderen kreativen Ausdrucksformen gestaltet und wieder an die Organisatorin zurückgegeben. Jeder Mensch kann so viele Karten gestalten, wie er möchte.
Wenn alle 15000 Karten fertig gestaltet sein werden, werden diese im Rahmen verschiedener Veranstaltungen präsentiert.
Auf dieser Homepage werden laufend alle Karten, sowie Veranstaltungen und Informationen zu NEVER/FORGET/WHY? veröffentlicht.
Mittlerweile sind Kooperationen mit Schulen und Universitäten in verschiedenen Ländern entstanden.
In Wien findet ein regelmäßiger Jour-fixe statt, zu dem alle Interessierten eingeladen sind, um Karten zu holen, Karten zu bringen, sich zu vernetzen, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen.
Die Projektentwicklung wird fotografisch dokumentiert und bildet damit eine der Grundlagen für ein Buchprojekt. In Kooperation mit einem Filmemacher entsteht eine Dokumentation, die sich mit der Entwicklung des Projekts und seiner Teilnehmer*innen beschäftigt.
Anna Wexberg-Kubesch im Gespräch mit
Birgit Meinhard-Schiebel
Birgit Meinhard-Schiebel: Wer steht eigentlich hinter der Initiative NEVER/FORGET/WHY?
Anna Wexberg-Kubesch: NEVER/FORGET/WHY? ist eine Privatinitiative, das Konzept wurde von mir initiiert und entwickelt. Mittlerweile gibt es einen kleinen Kreis von engagierten Menschen, die sich der Idee verbunden fühlen und mit mir gemeinsam das Projekt tragen.
Sich mit dem Holocaust/der Shoa in einer Zeit der permanenten Kriege, nicht nur in Europa, auseinander zu setzen, ist eine besondere Herausforderung. Was hat Sie persönlich dazu bewogen, sich mit den jüdischen Kindern aus dem Ghetto Theresienstadt zu beschäftigen? Welche Bedeutung haben dabei die 15000 Karten, die Sie auf den Weg bringen, um sie von vielen Menschen weltweit gestalten zu lassen?
Ungefähr 15000 jüdische Kinder, von Säuglingen bis zu Jugendlichen, wurden aus Deutschland, Österreich und Tschechien nach Theresienstadt gebracht. Einige wurden von dort sehr schnell in die Vernichtungslager deportiert, andere blieben über längere Zeit im Ghetto, teilweise ohne ihre Familien, bis auch sie deportiert und ermordet wurden.
Die Zahl 15000 entspricht etwa der Anzahl der Kinder und Jugendlichen, die in Theresienstadt untergebracht und deren Namen und Daten nur teilweise dokumentiert sind.
Die Zahl 15000 ist so ungeheuer. Ungeheuer viel, unvorstellbar, hoch. 15000 Kinder, 15000 junge Menschen. 15000 Menschen, die selbst in der Gruppe der 1,5 Millionen ermordeten jüdischen Kinder während der Shoa einen Bruchteil darstellen.
Diese Kinder wären heute im Alter unserer Eltern oder Großeltern. Hätten sie leben können. Hätten sie ihre Träume erfüllen können. Hätten sie einen Beruf erlernt, eine Familie gegründet. Hätten sie ihren Träumen nachgehen können, ihrer Liebe, ihrer Traurigkeit. Wären sie in ihren Ländern geblieben oder wären in ein anderes Land gegangen. Wären sie lustig, unbeschwert, nachdenklich, kreativ, wären sie erwachsen geworden. Hätten sie uns erzählen können aus ihrem Leben.
Dieser Gruppe von Kindern widme ich mein Engagement, meine Aufmerksamkeit. Über sie möchte ich erzählen, ihnen möchte ich Raum geben, für sie möchte ich mit Euch allen einen Ort der Erinnerung schaffen.
Erinnern schafft eine Verbindung über die Generationen hinweg. Erinnern ist eine bewusste Handlung, die wir setzen können, über unsere persönliche Geschichte hinaus. Erinnerung schafft eine Verbindung und eine Brücke zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.
15000 Karten für 15000 ermordete Kinder – gibt es gewisse Vorgaben oder Vorstellungen, wie diese Karten gestaltet werden sollen?
Die Karten sind einheitlich im A6 Format entworfen. Auf einer Seite sind die Worte NEVER, FORGET oder WHY? gestempelt, die andere Seite steht zur freien Verfügung und wird individuell gestaltet. Es gibt kein Richtig und kein Falsch. Jeder Ausdruck ist willkommen, sei es mit Worten, Texten, Bildern, Collagen, Fotografien, mit persönlichen Erinnerungen oder theoretischen Texten. Jede Karte ist so individuell und einzigartig wie jedes einzelne Kind, dessen wir uns erinnern wollen.
Wie kann ich bei diesem Projekt mitmachen?
Sie können uns ein E-mail senden und wir schicken Ihnen die gewünschte Anzahl an Karten zu und bitten Sie, diese verbindlich zurückzuschicken.
Sie können zu einem unserer regelmäßigen Treffen kommen, andere Projektteilnehmer_innen kennenlernen und dort Karten holen oder bringen.
Sie können einen Nachmittag mit ihren Freund_innen, ihrer Familie oder anderen interessierten Menschen organisieren, an dem sie gemeinsam Erinnerungskarten gestalten.
Sie können mich zu einem von Ihnen organisierten Treffen zu einem Vortrag einladen, wo ich Ihnen Informationen zum Ghetto Theresienstadt und den Kindern dort geben kann.
Auch Artikel und Filme über NEVER/FORGET/WHY? sind willkommen und besonders freuen wir uns über Ihre eigenen Ideen und Vorstellungen.
Wie viele Karten darf man eigentlich ausfüllen?
Jeder Mensch kann so viele Karten bekommen, wie er gestalten möchte. Die Karten dürfen auch sehr gerne an andere Menschen weitergegeben werden. Wichtig dabei ist aber, dass die Karten wieder an die Person zurückgegeben werden, von der Sie diese erhalten haben, sonst gehen der Überblick und Karten verloren.
Warum müssen die Karten wieder an Sie zurückgegeben werden?
Ich sammle alle gestalteten Karten wieder ein und hebe sie bis zum Ende des Projekts auf. Alle Karten werden von mir reproduziert und auf dieser Homepage in Form eines digitalen Erinnerungalbums zu sehen sein. Das bietet Menschen weltweit die Möglichkeit, online an der Entwicklung des Projekts und der Gestaltung der Karten teilzunehmen.
Was passiert mit den Karten, wenn alle wieder bei Ihnen angekommen sind? Werden diese, so wie unlängst die ersten 400 Karten in einem Wiener Bezirksmuseum präsentiert wurden, ausgestellt?
Es wäre sehr schön, schon im Laufe des Projekts einige Veranstaltungen durchzuführen, bei denen die Karten gezeigt werden. Begleitet werden kann so ein Abend auch mit Lesungen, einem Film oder Gesprächen mit Menschen, die mit dem Thema verbunden sind.
Wenn alle 15000 Karten wieder vereint sind, werden diese für einen Nachmittag an einem zentralen Ort im Rahmen einer großen Veranstaltung gezeigt.
Als letzter Akt werden alle Karten mit einer Projektbeschreibung versehen in Yad Vashem, der internationalen Holocaustgedenkstätte in Jerusalem, für zukünftige Generationen aufgehoben und archiviert.
Wie können Menschen, die nicht in Wien leben, am Projekt teilnehmen oder die fertigen Karten ansehen?
Wenn es Menschen nicht möglich ist an Karten zu kommen, können sie trotzdem Texte oder Bilder im A6 Format per E-Mail schicken, diese werden dann von uns auf Karten aufgebracht. Der Prozess des Projektes und die eingelangten Karten sind sowohl über die Homepage als auch über Facebook (never/forget/why?) verfolgbar.
Erinnern wird oft mit Vergangenem gleichgesetzt, Sie beschäftigen sich jedoch viel mit der Verbindung zu Gegenwärtigem. Was bedeutet dieses spezielle Erinnern für Sie?
Erinnern ist eine aktive Handlung, die ich hier und jetzt, in diesem Moment, gegenwärtig setze.
Natürlich ist der Inhalt der Erinnerung etwas bereits Vergangenes, das bedeutet aber nicht, dass es für uns nicht mehr bedeutsam sein kann. Indem ich erinnere, hole ich das Vergangene in diesen Moment herein, also in die Gegenwart und beschäftige mich mit meinem heutigen Bewusstsein, meinen Informationen und meinen Gefühlen mit den vergangenen Themen. Mein Handeln und Denken prägt mich, gestaltet mein Sein und bildet damit auch eine Verbindung in die Zukunft.
Warum wird so viel von Kunst und Kultur im Zusammenhang mit dem Ghetto Theresienstadt gesprochen?
Theresienstadt ist bis heute noch in der öffentlichen Wahrnehmung von der NS-Propaganda geprägt. In Bezug auf die Kinder und Jugendlichen in Theresienstadt wird schnell von Bildung, Kultur, Sport und Freizeitveranstaltungen gesprochen. Viele haben schon von der Kinderoper „Brundibar“ gehört und einige kennen die Kinderzeichnungen, die erhalten geblieben sind.
Ursprünglich hatte die Lagerleitung Bildung und Kultur im Ghetto verboten. Zu Propagandazwecken war es jedoch willkommen und gefragt, viele der inhaftierten Künstler und Künstlerinnen arbeiten zu lassen. „Brundibar“ wurde nicht zuletzt vor der Delegation des Internationalen Roten Kreuzes (IKRK), für die das Ghetto wie in einer Filmkulisse verändert wurde, aufgeführt. Die Delegierten erkannten die Farce nicht, alle Mitwirkenden an der Kinderoper wurden unmittelbar danach nach Auschwitz deportiert.
Viele der jüdischen Erwachsenen im Ghetto sahen es als ihre Aufgabe und auch als moralische Verpflichtung an, besonders Kinder und Jugendliche zu unterstützen und zu fördern. Im möglichen Überleben der jüdischen Kinder wurde die Zukunft gesehen, so sollten die Kinder möglichst viel lernen und sich kreativ ausdrücken können. Neben politischer Bildung stand das soziale Lernen, Solidarität, Empathie und das Miteinander in dieser unmenschlichen Situation an zentraler Stelle. Die wenigen überlebenden Kinder berichten fast einheitlich, dass der Zusammenhalt und das Leben in Gruppen mit anderen Jugendlichen für sie das Allerwichtigste für ihr zukünftiges Leben war.